Buchtipp des Monats
Sibylle Berg: GRM – Brainfuck (Kiepenheuer & Witsch, 2019)
Buchtipp – Dezember 2020Das Feuilleton feiert Sibylle Bergs Roman „GRM – Brainfuck“ geradezu hymnisch als virtuoses, wuchtig-monströses Werk, das einen schonungslosen Einblick in eine nicht allzu fern in der Zukunft liegende, düstere Welt eröffnet.
In einem durch alle Auswüchse des Neokapitalismus gekennzeichneten Inferno voller Armut, Brutalität und Perversion flüchten sich vier Jugendliche aus der Unterschicht in Grime, kurz GRM: die größte musikalische Revolution seit dem Punk. Die Handlung beginnt im englischen Rochdale, das wie ganz England nach dem vollzogenen Brexit wirtschaftlich von chinesischen Konzernen beherrscht wird und einer Totalüberwachung durch Drohnen unterliegt, nachdem Polizei und Militär privatisiert wurden. Dafür erhält jeder ein Grundeinkommen, der sich einen Chip einpflanzen lässt und sich willfährig der diktatorischen Staatsmacht unterwirft. Doch dagegen lehnen sich Don, Karen, Hannah und Peter auf: Sie beginnen einen Rachefeldzug.
Sibylle Bergs Roman ist alles andere als ein Jugendbuch, und auch das Etikett Dystopie trifft nur teilweise den Kern dieses Werkes, denn in vieler Hinsicht handelt es sich eher um eine extreme Verdichtung von realen Gewaltexzessen krimineller Gangs und Katastrophenmeldungen der jüngsten Vergangenheit (wie über den Hochausbrand des Grenfell Tower in London). Doch die Autorin zeichnet nicht nur ein soziales Schreckensszenario, sondern bietet dem Leser zugleich auch ein erzählerisch komplexes und sprachlich vielschichtiges Meisterwerk, das neben beißender Ironie und provozierendem Sarkasmus auch empathische Töne anklingen lässt: ein Stück Literatur, das irritiert und fasziniert!
Von: Beatrice le Coutre-Bick, Literaturbüro Westniedersachsen