Buchtipp des Monats
Miranda July: "Der erste fiese Typ"
Buchtipp – August 2015„Never has a novel spoken so deeply to my sexuality, my spirituality, my secret self. I know I am not alone“, sagt Lena Dunham über Miranda Julys Debütroman.
„Never has a novel spoken so deeply to my sexuality, my spirituality, my secret self. I know I am not alone“, sagt Lena Dunham über Miranda Julys Debütroman. (Und Dunham, Produzentin, Drehbuchautorin, Regisseurin und Hauptdarstellerin von Girls – und laut Times Magazineeine der 100 weltweit einflussreichsten Personen – ist bekanntlich vertraut mit den Tücken sexueller Betriebsamkeiten US-amerikanischer Großstädterinnen...)
July kannte man bislang als Filmemacherin, Künstlerin und Autorin von Kurzgeschichten, die Europäer lieben sie vor allem seit „Ich und du und alle, die wir kennen“ von 2005. Aber so liebenswürdig die verlorenen Seelen ihrer Indie-Filme auch waren – ein bisschen arg harmlos wirkten sie doch. Aber mit genau dieser Arglosigkeit ist jetzt offenbar Schluss. Denn The first bad man, wie der Roman im Original heißt, zieht andere Register.
Die Hauptfigur Cheryl, Mitte 40 und Geschäftsführerin einer Firma, die ihre Selbstverteidigungsvideos mittlerweile zu Fitnesszwecken anpreist, scheint zwar erstmal durchaus eine sehr enge Verwandte der anderen July-Figuren zu sein. Sie hat so viel weggeschluckt, dass der Kloß namens Globus hystericus ihren Hals gar nicht mehr verlässt. Seit zig Jahren ist sie in den zwanzig Jahre älteren Philipp verliebt und von dem Gedanken überzeugt, dass sie beide eigentlich seit Jahrtausenden ein Paar sind, als Höhlenmann und -frau. Allein eine ausgemachte Ordnungsobsession hält dieses einsame Leben zusammen.
In einem langen öffentlichen Gespräch, das July und Dunham zum Erscheinen des amerikanischen Originals im vergangenen Winter in Brooklyn führten, bekennt Dunham - einigermaßen in Rage – sich immer irrsinnig aufzuregen, wenn Julys Figuren und im schlimmsten Fall sie selbst als „quirky“, als „verschroben“ bezeichnet würden (und das geschieht tatsächlich in fast jeder Rezension!). Denn wer so redet, hält sich diese vermeintlich putzigen Leute nur möglichst weit vom Leib, anstatt sich ernsthaft irritieren zu lassen von deren – na, sagen wir möglichst wertneutral - Eigenheiten. Und irritierend ist diese Cheryl allemal. Spätestens, als die ungewaschene, dreiste Tochter ihres Chefs bei ihr einzieht und sie halb spielerisch, halb ernst körperlich angreift, kommt Bewegung in das Ganze. Bald kämpfen Clee und Cheryl nach Vorlage der alten Selbstverteidigungsvideos aus der Firma und eine Art Fight Club unter Frauen beginnt. Als dann auch noch der angebetete Philipp mit einer Sechzehnjährigen loszieht, platzt der Knoten in Cheryl endgültig: Sie entdeckt den fiesen Kerl in sich – und Clee, dass sie schwanger ist.
Wirklich bemerkenswert wird der Roman dort, wo die Figuren sich von ihren sozialen Rollen (die verschrobene kinderlose Frau und das zickige Hipsterkid) lösen und ein richtiges Eigenleben entwickeln, ihrem Begehren folgen, ihre Schrägheit stolz zur Schau tragen. „July's ability“, sei nochmals Dunham zitiert, „to pervert norms while embracing what makes us normal is astounding… she will make you laugh, cringe and recognize yourself in a woman you never planned to be“. Ein perfekt komponierter Roman ist Der erste fiese Typ sicher nicht, aber ein Stück Literatur zum Niederknien.