Buchtipp des Monats
John von Düffel "KL - Gespräch über die Unsterblickkeit"
Buchtipp – April 2015John von Düffels Buch kommt leichtfüssig daher und erweist sich als Schwergewicht. Es ist eine philosophische Reflexion über die Ikonographie unserer Zeit. KL ist Karl Lagerfeld. Soviel ist klar. Aber: Wer ist Karl Lagerfeld?
Das Spiel beginnt schon beim Cover: Es ist eindeutig eine Kopie der Parfum-Verpackung von Chanel und man fragt sich sofort ob der Dumont Verlag oder John von Düffel einen markenrechtlichen Rechtsstreit provozieren wollen. Doch das Buch heisst "KL - Gespräch über die Unsterblichkeit". Mit der Ewigkeit in Verbindung gebracht zu werden, könnte dem Haus Chanel allerdings recht sein, umgeben sich doch bis heute Zehntausende Frauen nicht nur mit einem Duft sondern mit der Aura unsterblicher Schönheit, wenn sie Chanel No. 5 auftragen. Ein Produkt, das bereits drei Jahrzehnte auf dem Markt war, als Marilyn Monroe es vor über 50 Jahren zu ihrem Lieblingsduft erklärte. Kein Parfum mehr sondern eine Parfum-Ikone.
Man soll also ein Gespräch erwarten, über Unsterblichkeit. Aber was bekommt man? Das Spiel geht weiter: Es folgt kein Gespräch, sondern einen Monolog in vier Akten mit siebeneinhalb Personen.
Zunächst begleiten wir den Erzähler, nennen wir ihn JvD, beim Versuch, mit KL ein Gespräch zu führen, weil er ihm ein Biographie-Projekt anbieten will. Eigentlich bleibt es trotz der persönlichen Begegnung beim Versuch, denn das Gespräch unterliegt strengen, juristisch gewieften, nahezu diktatorischen Regelungen. Ein Schutzpanzer aus Zumutungen, die wie Realsatire wirken. JvD darf nur die Monologe des Meisters mithören, selten gelingt eine Frage oder ein Einwurf. Auch zeitlich hat das Meister-Management alles streng limitiert. Maximal eine halbe Stunde. JvD wehrt sich gegen all diese Auflagen und Einschränkungen und erliegt ihnen dann prompt vollständig. Am Ende stellt KLs Assistent mit Blick auf die Uhr fest, dass sogar noch ein paar Minuten übrig sind. Perfekt. Man amüsiert sich beim Lesen. Alles kommt einem bekannt vor. (Was übrigens an der überragenden Fähigkeit John von Düffels liegt, den vertraut hastigen Duktus und hanseatischen Ton Karl Lagerfelds zu treffen!) Aber füllt das eben Gelesene nicht einen viel längeren Zeitraum? Kann KL nicht nur Textiles sondern sogar die Zeit nach Bedarf passgenau definieren? Schon sind wir dem Spiel auf den Leim gegangen und wollen für bare Münze nehmen, dass John von Düffel - oder JvD? - hier eine reale Begegnung mit Karl Lagerfeld literarisiert. Uns dämmert, dass wir im Grunde auf fertige Bilder zurückgegriffen haben, die ikonographisch perfekt funktionieren. Und das Spiel setzt sich fort.
John von Düffel lässt KL weiter reden, spinnt einen unterhaltsamen "Stream of conciousness" voller geklauter und echter Zitate frisch gepflückt und perfekt gefälscht vom Autor selbst. So kreist er eine schwer fassliche Sache ein: die Ikonographie unserer bilderwütigen Zeit.
Mit KL- Gespräch über die Unsterblichkeit erlaubt sich John von Düffel etwas, das sehr schwierig ist, nämlich sich eine lebende Person als literarische Kunstfigur anzueignen. Von Düffel gelingt dies brilliant und er hat sich mit Bedacht das richtige Vorbild ausgesucht. Karl Lagerfeld ist nämlich tatsächlich der vielleicht einzige, extrem populäre Mensch unserer Zeit, der es seit Jahrzehnten schafft, integer zu scheinen und die Deutungshoheit über die eigene Person selbst zu haben. Vielleicht mit Ausnahme der englischen Königin. Doch die redet wesentlich weniger als die öffentliche Figur Lagerfeld und kann von einer ererbten und politisch zugeschriebenen Aura zehren. Zumindest Düffels KL hingegen hat sich selbst zur Ikone geschaffen. Genau wie Karl Lagerfeld? Den kennen wir jedoch auch nur als Bild aus Talkshows und den Bunten Blättern.
KL blieb nichts anderes übrig, als sich zum Bild zu stilisieren, stellen wir fest. Sein Tun ist öffentlich und muss es sein, sein Erfolg Ruhm geworden. Was schützt ihn also anderes als Unnahbarkeit. Brüchig ist KLs Souveränität allemal. Wer erträgt Unnahbarkeit? An anderen und erst an sich selbst? Kann man einem (biographischen) Auftrag ein Leben lang folgen, wer schaut einem da zu? Und was macht es aus, wer schaut? Kann man allen Blicken standhalten, wenn man um einen weiß, auf den es ausschliesslich ankommt? Ist KL nun unfreiwillig unsterblich? Schläft er nie und wird er nie schlafen? Es wird einem Angst um ihn.
Doch es geht in von Düffels Gespräch über die Unsterblichkeit nicht nur um die perfekte Ikone. Auch eine zufällige Begegnung mit BS, leicht als Barbara Schöneberger zu identifizieren, und ein Gespräch zwischen einem Regisseur und einem Journalisten zu Heide Simonis in Anwesenheit der seltsam verjüngten und ebenso seltsam unbeteiligt wirkenden Politikerin wird belauscht. Beide Episoden zeigen, was aus uns wird, wenn alle schauen und die Distanz zum Teufel ist. BS ist die eigentlich tragische Figur des Buches. Das Bild des "Vollweibes" hat eine grausam kurzes Verfallsdatum. Es hat sich nicht viel geändert am Frauenbild. Wer darauf setzt hat schon verloren oder braucht ein extrem dickes Fell und ein ebenso dickes Bankkonto für die Zeit nach der Selbstvermarktung. HS hingegen entpuppt sich als Schauspielerin, als Simonis-Darstellerin. Eine andere Variante zeitgenössischer Bildfindung, die in unserer Bildermaschine Nummer Eins, dem Fernsehen, gern produziert wird.
John von Düffels Buch - soviel ist klar - ist trotz aller Pointen, Mantra-Monologe, geklauter Zitate, trotz Biss und amüsanten Kalauern, keine Satire auf lebende Personen. Im Gegenteil: Es ist respektvoll und voller Mitleid im eigentlichen Wortsinn. Es geht auch nicht um belanglose Boulevard-Geschichten, sondern um die Frage der heute vielbeschworenen gelungenen Teilhabe am gemeinsamen, öffentlichen Leben. Und es geht um die beinharte Konkurrenz um die Bilder in den Köpfen, um eine Industrie der Halbwertzeit-Ikonen, Marktanteile und das Überleben auf dem Markt. Da allerdings ist John vom Düffel durchaus sarkastisch. Doch seine Figuren verrät er nicht.
Die Ikone KL bleibt trotzdem JvD sie geradezu liebevoll zum "Schwadrosophen" erklärt, von dem man viel lernen könne für die kurze Ewigkeit eines Lebens unter Beobachtung, bei ihrem Leisten; lebt im Grunde ganz der Arbeit, einer Arbeit, die ein reales Objekt zum Gegenstand hat, und eine schöpferische und ganz ins Leben hineingewirkte Arbeit ist. Das Spiel geht weiter: Auch das ein Menschheits-Traum, eine Ikone. Die Vorstellung der Aufhebung der so mühsam erkämpften Aufteilung von Arbeit und Freizeit, die das kräftezehrende Industriezeitalter erzwang, in einen dem Gegenstand gewidmeten schöpferischen Prozess, der nie enden muss und nie enden soll. Doch dieser immerwährende Prozess, sagt KL - und sagt das nicht auch Karl Lagerfeld? - erwächst aus Disziplin. Streng, sehr preussisch, unnahbar, eindeutig künstlich, also echt. Ein altmodisches Vor-Bild. Und ein sehr tiefgründig heiteres Buch.