Buchtipp des Monats
Dmitrij Kapitelman: „Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters"
Buchtipp – Juli 2017„Papa, warst du eigentlich schon mal in Israel?“ – diese Frage stellt Dmitrij Kapitelman zu Beginn des Buches seinem „unsichtbaren Vater.“ Ein Buch, in dem es nicht nur darum geht, den Vater besser zu verstehen, sondern vor allem um jüdische Identität.
Das Kind Dmitrij Kapitelman beobachtet nach der Ausreise aus der Ukraine nach Deutschland, wie der quirlige, lebhafte und lebenskluge Vater langsam unsichtbar wird. Er selbst erlebt, wie er in der Schule als Fremder ausgegrenzt wird, während seine Eltern in eine lähmende Nostalgie zu dem Land verfallen, das sie aus Angst vor möglichen Pogromen verlassen haben. Als mögliche neue Heimat war zunächst Israel geplant, die Entscheidung fiel dann aber für Deutschland. Wo der Mathematiker Leonid Kapitelman seine im Umgang mit dem Sowjet-Regime erworbenen Fähigkeiten, an nahezu alle fehlenden Waren zu kommen, durchaus erfolgreich in einem eigenen Laden einsetzt, aber als Person verschwindet.
Dmitrij Kapitelman fragt sich als Erwachsener, ob Leonid, Sohn eines sehr religiösen Mannes, in dessen Leben Religiosität aber keine Rolle spielt, in Israel „sichtbar“ werden könnte, dem Land, in dem Juden nicht in der Außenseiterrolle sind. So unternimmt er gemeinsam mit seinem Vater eine Reise ins gelobte Land, auf der Suche nach seinem Vater und seiner eigenen Identität.
Mit einer unnachahmlichen Mixtur aus Humor und Traurigkeit und einem scharfen Blick fürs Absurde erzählt Dmitrij Kapitelman im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zu dieser Reise die Geschichte seiner Familie und seiner Kindheit; je näher der Abreisetermin rückt, desto stärker rückt das Paar aus Vater und Sohn in den Fokus: Dmitrij ist enttäuscht von den für ihn banal klingenden Erwartungen, die sein Vater an Israel hat: Alte Freunde aus der Ukraine treffen (die genau wie er in Deutschland russisches Staatsfernsehen schauen und besser Russisch als Hebräisch sprechen), die Sicherheit der israelischen Flughäfen genießen, am Strand von Eilat baden… Im gleichen Maße, in dem Dmitrij aufgeht, dass sein Vater nicht unsichtbar war, sondern sich nur versteckt hat – Schlüsselerlebnis ist der Besuch der Klagemauer – setzt er sich auch mit seiner eigenen Identität als „halber Jude“ auseinander, der Frage, was es bedeutet, Jude zu sein, und ob man als Jude nur in Israel leben kann. Er stellt sich auch unbequemen Fragen und Erlebnissen, reist nach Ramallah und Nablus und lernt junge Araber kennen. Die private Identitätssuche gewinnt eine Dimension, die über das Private weit hinausgeht. Kapitelman bietet keine einfachen Antworten, aber er zeigt, dass sich das Fragen lohnt.
Dmitrij Kapitelman, geboren 1986, ist der Sohn des jüdisch-ukrainischen Mathematikers Leonid Kapitelman und seiner aus Moldawien stammenden Ehefrau Vera Romashkan, deren Nachnamen er aus Furcht vor antisemitischen Ressentiments erhielt. Mit acht Jahren kam er mit seiner Familie als Kontingentflüchtling nach Deutschland. Er studierte Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Leipzig und absolvierte die Deutsche Journalistenschule in München. Er lebt als freier Journalist in Berlin und macht unter dem Künstlernamen Dheema Musik (Veröffentlichung: Querulantenkram EP). Kapitelman erhielt für seinen Debütroman den Klaus-Michael-Kühne-Preis des Harbour Front Literaturfestivals 2016.
Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters. Hanser, Berlin 2016
Von: Antje Bohnhorst, Raabe-Haus:Literaturzentrum Braunschweig
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