Buchtipp des Monats

Buchtipp – Februar 2021

Elisa Shua Dusapin: Ein Winter in Sokcho (Blumenbar, 2018)

In Elisa Shua Dusapins »Ein Winter in Sokcho« nimmt die Leere mehr Raum ein als der Text selbst. Das wirkt auf den ersten Blick unbefriedigend, ist aber auf den zweiten sanfte, feinfühlige Prosa.

© Blumenbar

Im Winter ist es leise in Sokcho. Die Häuser ächzen unter der Schneelast, Wasserrohre frieren zu. Nur wenige Menschen verschlägt es zu dieser Jahreszeit in den Touristenort am Japanischen Meer – auch die Zimmer der Pension, in der die namenlose Protagonistin arbeitet, stehen fast völlig leer. Einer der wenigen Gäste ist Yan Kerrand, französischer Autor einer recht erfolgreichen Reihe von Graphic Novels. Was wie der Auftakt zu einer Teenie-Schnulze oder deren verruchter Erwachsenen-Version à la 50 Shades klingt, ist gerade die Abkehr vom Narrativ, dass eine einzige Begegnung ein unglückliches Leben radikal verändern kann. Ein Winter in Sokcho (frz. Original: Hiver à Sokcho) erzählt stattdessen, wie es meistens abläuft: Es passiert – nichts. Die kurze Erzählung handelt vom zaghaften Denken eines Ausbruchs, doch die Protagonistin überschweigt ihre Gedanken. So gibt es für sie keinen Wendepunkt, kein Schlüsselerlebnis. Alles, was bleibt, ist dieselbe unbestimmte Leere, die auch Kerrands schwarz-weiße Zeichnungen prägt; es bleibt das Gefühl, zwischen zwei Schichten einer Schneedecke zu liegen: weit und still.

Elisa Shua Dusapin: Ein Winter in Sokcho, Blumenbar 2018

Von: Frederik Eicks, Literarisches Zentrum Göttingen