Veranstaltungs-Archiv

02.04.14 - 19.30 Uhr –

Resonanzen: Jan M. Piskorski & Andreas Schäfer

„Auf der Flucht – in Europa, nach Europa“

Moderation: Jutta Rinas

Flucht, Deportation und Vertreibung wurden im Europa des 20. Jahrhunderts für nicht weniger als 80 Millionen Menschen zu einer Massenerfahrung, die bis heute in vielen Familien nachwirkt. In seinem preisgekrönten Buch Die Verjagten geht Jan M. Piskorski dem nach: vom Massaker an den Armeniern 1915 über die Vertreibungen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten bis zum Zerfall Jugoslawiens am Ende des 20. Jahrhunderts. Piskorski beschreibt in seiner brillanten Studie die Flüchtlingsströme nicht nur in Zahlen und Fakten, sondern verfolgt auch einzelne Schicksale mit Empathie und lässt viele Zeitzeugen zu Wort kommen. Dabei fordert er nicht nur eine gemeinsame Erinnerungskultur, sondern stellt auch mit Blick auf die Gegenwart fest: "Europa baut immer mehr Museen für die Opfer der Vergangenheit und wendet sich zugleich von den Opfern der Gegenwart ab."

Angesichts der jüngsten europäischen Epoche der Vertreibungen ist tatsächlich erstaunlich, wie vehemment sich die EU heute gegenüber Flüchtlingen abzugrenzen sucht. Wie wir mit dem Thema Migration umgehen – vor allem, wenn das bzw. der Fremde uns persönlich nahe rückt –, hinterfragt Andreas Schäfer in seinem Roman Gesichter: Darin wird der Neurologe Gabor Lorenz auf der Urlaubsrückreise am Hafen von Patras Zeuge, wie ein Mann auf einen LKW springt, um unbemerkt auf die Fähre nach Italien zu gelangen. Lorenz wirft eine Tüte mit Lebensmitteln in den Laster – zu spät fällt ihm ein, dass darin auch Postkarten mit seiner Berliner Anschrift sind. Als ihn die Karten dann nach und nach per Post erreichen, schleicht sich ein diffuses Gefühl von Bedrohung in Lorenz’ Alltag: "Stück für Stück legt Schäfer den mürben Kern der bürgerlichen Selbstgewissheit frei. Der Fremde gerät zur subtilen Bedrohung, die bis in den Berliner Vorgarten reicht" (Freitag).

Jan M. Piskorski, geb. 1956 in Stettin, ist Professor für Vergleichende Geschichte Europas an der Universität Stettin und Vorsitzender der Menschenrechtsstiftung Humanity in Action, Poland. Gastprofessuren führten ihn u.a. nach Mainz, Halle/ Saale und Osnabrück.

Andreas Schäfer, geb. 1969 in Hamburg, selbst deutsch-griechischer Herkunft, lebt als Autor und Journalist für den Tagesspiegel in Berlin. Sein Roman Wir vier war für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Jutta Rinas, geb. 1963 in Mannheim, studierte Klavier, Musikwissenschaft und Germanistik und arbeitete für den WDR und die FR. Seit 1997 ist sie Redakteurin bei der HAZ.

Eintritt: 9,- / erm. 6,- Euro

Links: http://www.literaturhaus-hannover.de