Buchtipp des Monats

Buchtipp – Mai 2017

Marion Poschmann: „Geliehene Landschaften“, Gedichte

2016 erschien bei Suhrkamp der Gedichtband „Geliehene Landschaften“ von Marion Poschmann. Der Titel zitiert ein traditionelles Stilelement der ostasiatischen Gartenkunst.

Buchcover: Marion Poschmann, Geliehene Landschaften (Suhrkamp-Verlag)

Marion Poschmann verlässt für Recherchen gern ihr vertrautes Umfeld. 2016 erhielt sie vom Literaturbüro Oldenburg ein Reisestipendium durch das Oldenburger Land. Im September war sie dort neun Tage lang mit dem Fahrrad unterwegs. Des Reisetempos wegen hatte sie viel Zeit, unterwegs in die Landschaften zu schauen. Dass sie die Umgebung in den Blick nahm, liegt nahe, denn Marion Poschmann ist auch eine Schriftstellerin, die sich zu Ihren Prosatexten und Gedichten gern von der Natur anregen lässt. Im April 2017 erhielt sie sogar den erstmals vergebenen Deutschen Preis für Nature Writing. Auch im Mittelpunkt ihres aktuellen Gedichtbandes steht die Naturbetrachtung. In neun Zyklen, die jeweils aus neun Gedichten bestehen, ist das Buch unterteilt. Wir folgen der Dichterin durch diese Abschnitte in Parks und Gartenanlagen von Helsinki über Berlin bis nach Kyoto. In der Bildenden Kunst ist der Hortus conclusus als klar umgrenzter Garten ein Motiv, das besonders für die christliche Mariensymbolik von Bedeutung ist. Doch schon das Alte Testament verortet die Erschaffung Adams und Evas in einem Garten, aus dem sie nach dem Sündenfall vertrieben werden. Wenn also jeder Garten letztlich als paradiesische Landschaft angelegt wird, bewegt sich Marion Poschmann mit ihren Gedichten durch paradiesische Gefilde in der finnischen Taiga, in den USA und im Japanischen Ziergarten. Wie „natürlich“ uns diese Gärten auch erscheinen mögen, sind sie doch alle im hohen Maße konstruiert; sind sie von Menschen angelegte und geformte Natur, wie jedes Gedicht ein umrissenes ästhetisches Konstrukt darstellt. In Marion Poschmanns Lyrik jedoch, die sich Landschaften, Parks und Gärten ausleiht, weist die enge Umgrenzung des Garten und des Gedichts stets über sich hinaus: So, wie in der ostasiatischen Gartenkunst eine Szenerie außerhalb des Gartens bewusst in dessen Gestaltung einbezogen wird, damit er sich ins Weite öffnen kann, stellen auch die Gedichte kunstvoll geformte Konstrukte dar, die sich spirituellen Sehnsüchten und politischen Implikationen öffnen. Überraschend und leicht präsentieren sie sich der Lektüre.

Von Monika Eden, Literaturbüro Oldenburg