Buchtipp des Monats

Buchtipp – September 2016

Ein Bulle im Zug

Gibt es etwas harmloseres als Bahnfahren? Nein. Doch wer Franz Doblers Krimi liest, wird lernen müssen, dass es so etwas wie Harmlosigkeit nicht gibt.

© Klett-Cotta

"Kriminalhauptkommissar Fallner hat bei einem Einsatz einen jungen Kriminellen erschossen. Jetzt ist er dienstunfähig. Fallner nimmt den Rat seiner Therapeutin an und verwirklicht seinen Jugendtraum: Mit einer BahnCard100 so lange Zug fahren, wie er Lust hat. Auf die Tour will er auch endlich den toten Jungen aus dem Kopf kriegen." ... Soweit die freundliche Inhaltsangabe des Verlags. Doch wer Franz Dobler kennt - ob als Lyriker, Geschichtenerzähler oder DJ - weiß, welche Hausgötter ihn begleiten und dass er ihnen Tribut zollt. Und weiß, er kann sich auf was gefasst machen.

Franz Dobler hat Westerngedichte geschrieben und einen Lyrikband mit dem schönen Titel "Ich fühlte mich stark wie die Braut im Rosa Luxemburg T-Shirt". Er hat über Johnny Cash geschrieben, Ry Cooder übersetzt und seine biographischen Notizen heissen "The Boy Named Sue. Aus den Memoiren eines zerstreuten Musikliebhabers". Er hat "26 Geschichten für den Rest des Lebens" und einen Roman sowie viel journalistische Arbeiten veröffentlicht. Dass er sich eher mit dem "Kram vor der Tür, als mit dem schönen Leben" beschäftigt ist seit langem bekannt und seine Bezüge zu amerikanischer Literatur und Musik sind offenbar. Sein erster Kriminalroman, für den er den Deutschen Krimipreis 2015 erhielt, war aber doch eine Überraschung.

Zwar ist Fallner eindeutig ein Verwandter der einsamen Alkoholiker Spade und Marlowe, doch anders als diesen beiden werden Doblers Kommissar die Leser- und Frauenherzen nur bedingt zufliegen. Chandlers und Hammetts Privatdetektive, die der Schwarzen Serie und im film noir, hatten ihre eigene -  übrigens gnadenlose - Methode, das Verbrechen zu bekämpfen, indem sie dafür sorgten, dass sich die Verbrecher gegenseitig auslöschten und Korruption sich zumindest zeitweilig nicht mehr lohnte. Und sie waren Erlöser: Das größte Opfer brachten sie am Ende immer selbst. Fallner ist eindeutig ein jüngerer Bruder dieses Typus, doch mitten aus unserer Gegenwart, der in unser scheinbar geordneten Welt abrutscht, Teil eines heikel ausbalancierten Rechtsstaats ist und dem nicht entkommt. Der alte Spruch "einmal Bulle, immer Bulle" bekommt geradezu bedrückende Bedeutung.

Dobler gelingt in einem sehr abgenutzten Genre eine bravuröse Tat: Ein Krimi, ein Gesellschaftsroman der Gegenwart abbildet, der Realismus und Traumsequenz, Normalität und Störung so gut ineinander flicht, dass am Ende keine Wahrheit, geschweige denn Erlösung winkt.

Beim Lesen möchte man manches am liebsten gar nicht wissen oder haben. Dabei gibt es weder ausführliche Schilderungen ekliger Leichenfunde noch übertrieben ausgemalte Brutalität. Es ist vielmehr der Schock, hier ein Abbild von Gegenwart zu haben, das kein Wohlgefühl erlaubt. Schon allein Fallners Ehe mit einer - anders kann man es nicht sagen -  waffengeilen Polizistin hat Züge, die abstoßen und die man gar nicht so genau ansehen möchte. Das Paar taumelt zwischen (über)lebenswichtiger Solidarität, Loyalität, kalter Konkurrenz und Egoismus, mal spielerisch - das wäre ja immerhin noch Geschmacksache -, mal brutal zwischen Machtgenuss und Abhängigkeit. Traurig ist es auch. Dazu kommt Franz Doblers Sprache. Am schönsten hat Jürgen Kaube es in der FAZ formuliert: "Doblers Sprache ist maximal ungemütlich, sie hartgesotten und nicht jugendfrei zu nennen, wäre stark untertrieben." Dem wäre nichts hinzuzufügen. Außer der unbedingten Leseempfehlung für alle, die zwar an Gerechtigkeit glauben, aber wissen, dass es sie nicht gibt.

Doch zum Schluss noch eine gute Nachricht: Ende September 2016 erscheint der zweite Fallner-Roman bei Klett-Cotta, allerdings mit dem womöglich wörtlich zu nehmenden Titel "Ein Schlag ins Gesicht."


Franz Dobler: Ein Bulle im Zug; Klett-Cotta, Tropen, Stuttgart 2015. ISBN: 978-3-608-50125-4 (Taschenbuch bei Heyne) Franz Dobler: Ein Schlag ins Gesicht, Klett-Cotta, Tropen, Stuttgart 2016, ISBN: 978-3-608-50216-9

Von:Kathrin Dittmer, Literaturhaus Hannover

Links: http://www.franzdobler.de