Buchtipp des Monats

Buchtipp – Februar 2016

Doris Knecht: "Wald"

Knechts Roman überzeugt vor allem in der unaufgeregten, fast spröde wirkenden Sachlichkeit, mit der er die Frau in der Latzhose und den verdreckten Plastik-Clogs neben diejenige mit den aufgespritzten Augenpartien auf den Louboutins in der Szenebar stellt, ohne der Leserin die Entscheidung leicht zu machen, welche der beiden Existenzen denn nun die erbärmlichere ist.

© Rowohlt Verlag

"Back to the landers" nennt die Fachliteratur all die Leute, die sich aus Überdruss am Großstadtleben oder Sehnsucht nach dem weniger entfremdeten, erdverbundeneren Leben in die Pampa zurückziehen, um dort mehr oder weniger als Selbstversorger ihre Rüben zu ziehen und Ziegen zu füttern. Max – ehemals Dieter – Moor, Hilal Sezgin und Karen Duve sind vermutlich die prominentesten Exponent_innen dieser Fraktion aus unserer Branche. Marian – ehemals Marianne – ist ein anderer Fall: Ganz und gar unfreiwillig wird Doris Knechts Protagonistin im Roman "Wald" (Rowohlt 2015) zur Selbstversorgerin, die sich am Rand eines österreichischen Kaffs vor den Behörden versteckt. Denn die frühere Modedesignerin hat nicht nur ihr sattes Yuppie-Leben verloren, sondern bleibt hochverschuldet zurück, nachdem sie die Finanzkrise und eigene Fehler in den Bankrott und schließlich zum völligen Rückzug getrieben haben. "Back to the land", fischt und wildert sie nun, stiehlt Gemüse und Hühner, versucht sich der tendenziell aggressiven Dorfgemeinschaft zu entziehen und kommt nur einigermaßen über die Runden, weil Großbauer Franz ihr mit dem Nötigsten aushilft – und als Gegenleistung ihre sexuellen Dienste in Anspruch nimmt.   Knechts Roman überzeugt vor allem in der unaufgeregten, fast spröde wirkenden Sachlichkeit, mit der er die Frau in der Latzhose und den verdreckten Plastik-Clogs neben diejenige mit den aufgespritzten Augenpartien auf den Louboutins in der Szenebar stellt, ohne der Leserin die Entscheidung leicht zu machen, welche der beiden Existenzen denn nun die erbärmlichere ist. Die Abhängigkeiten sind einfach andere, die neuen stehen Marian aber wenigstens klar vor Augen und sind entsprechend zumindest potenziell formbar. So gehört fraglos zum interessantesten an diesem erstaunlich leicht zu lesenden Buch die Erzählung davon, wie sich Marians Verhältnis zu Franz gegen Ende in etwas verwandelt, dass sie gewählt hat – und wieder wählen wird. Eine kluge Reflexion über den Begriff des Sich-Prostituierens, dessen ärgste Varianten, wie hier erzählt wird, sicher nicht dort anzutreffen sind, wo sich eine auszieht.

Von:Anja Johannsen, Literarisches Zentrum Göttingen

Links: http://www.rowohlt.de/hardcover/doris-knecht-wald.html